Bruddler mit Herz: Bernd Stammler ist seit 20 Jahren Betreuer beim FC Wittlingen

Torhüter unter sich: Bernd Stammler (links) „kann man nur mögen“, sagt Aykut Kaya. Foto: Gerd Gruendl
Aus der Badischen Zeitung vom 18. September 2020:

Es ist Mittwochnachmittag, über den Fernseher flimmern gerade die Tour-de-France-Favoriten, die sich die Alpen hochquälen. Bernd Stammler hat den Telefonhörer abgenommen, „Sie haben Glück“, sagt er zwischendurch, denn er hat gleich noch einen Termin. Oberliga-Fußball beim FV Lörrach-Brombach, „hoffentlich holen sie den ersten Sieg“. Noch ist ein bisschen Zeit, ehe Stammler sich auf sein Fahrrad schwingen und von Wittlingen losfahren wird. „Ich fahr’ den Buckel rüber, über Rümmingen, durch den Wald. Da brauch’ ich 35 Minuten.“

Im fortgeschrittenen Alter („Nächstes Jahr werde ich 70“) darf die Frage erlaubt sein, ob er sich womöglich elektrische Unterstützung gönnt. Stammler stockt kurz, der Ansatz eines Lachens ist zu vernehmen. „Da gehen die Meinungen auseinander“, sagt er, als sich seine Stimme erhebt: „Entweder ich habe ein Fahrrad oder ich habe ein Moped.“ Klare Ansage und die logische Antwort: Stammler hat ein normales Fahrrad, kein E-Bike.

Wohl jeder Wittlinger kennt Stammler auf seinem Fahrrad

Bernd Stammler und sein Fahrrad, das ist in Wittlingen ein bekanntes Gespann, auch bei den FC-Fußballern. Nach Trainings und Spielen „fährt er mit dem Fahrrad herum und sammelt die Bälle ein“, erzählt Bezirksliga-Trainer Tiziano Di Domenico. Und dienstags radelt Stammler durchs Dorf und verteilt das Gemeindeblatt, „seit 13 Jahren“, wie er betont. Beim FC Wittlingen sei er wohl schon 55 Jahre Mitglied, er kümmerte sich ewig um den Sportplatz, ist seit über 20 Jahren Betreuer und bildet im Landesliga-Team mit Klaus Häßler ein eingespieltes Duo.

Übernimmt Bernd Stammler eine Aufgabe, erfüllt er sie gewissenhaft. „Wenn er mal fehlt, hat er fast schon ein schlechtes Gewissen, wie er es mir sagen soll“, sagt Di Domenico, dabei habe Stammler weniger Spiele verpasst als er. „Bernd ist bei jeder Einheit da, öfter als mancher Spieler. Das ist nicht selbstverständlich“, betont Aykut Kaya. Zum FC-Schlussmann hat Stammler eine spezielle Beziehung, war er doch selbst Torhüter. „Aykut ist fast mein bester Kollege, ein Spitzentyp“, sagt Stammler, erwähnt aber auch umgehend dessen Stellvertreter Marco Hermann. Ohnehin vermittelt er das Gefühl, alle gleichbehandeln zu wollen.

Bis er 46 war, stand Stammler im Tor
Beim FCW begann Stammler in der B-Jugend, rückte ein Jahr früher zu den Aktiven auf. Bis er 46 war, stand er im Tor, erste und zweite Mannschaft, Alte Herren, ehe die Bandscheibe das doppelte Karriereende erzwang: im Fußball und im Beruf. 33 Jahre lang arbeitete er in Binzen im Baugewerbe – Heizung und Sanitär. Als Betreuer fand er ein zeitfüllendes Hobby. „Man kann nicht den ganzen Tag nur daheim auf der Couch liegen.“ Und ist im Vereinshaus mal ein Wasserhahn zu reparieren, macht er auch das. „Ich bin das halt so gewohnt“, sagt er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

In der Bezirksliga fungierte er als einer der beiden Linienrichter, die die Clubs stellen müssen. „Dass er das in der Landesliga nicht mehr machen darf, hat ihm ein bissle weh getan“, glaubt Kaya. Seine Aufgabe habe Stammler immer korrekt erfüllt. Di Domenico schätzt ihn als „sehr diszipliniert, er verliert gegenüber Linien- und Schiedsrichtern kein Wort“.

„Wir nennen ihn auch schon mal Bruddler“ Trainer Tiziano Di Domenico

Wenn, dann murmle er eher mal etwas vor sich hin. „Wir nennen ihn auch schon mal Bruddler“, sagt Di Domenico und sein lachend-freundlicher Tonfall verrät, dass das liebevoll gemeint ist. „Er ist sehr kritisch, sehr emotional.“ Stammler sage ihm auch seine Meinung, „darüber bin ich auch froh. Ich höre ihm gerne zu, er hat einen guten Blick, ein gutes Gefühl“. Ähnliches berichtet Kaya: „Ich unterhalte mich sehr gerne mit Bernd, auch über Privates“. Er habe seine eigene Art, „aber er ist ein ganz lieber Kerl und hilfsbereit“.

Wann lassen die Wittlinger ihren Bernd mal singen?

Stammler erinnert an einen Tour-de-France-Fahrer: Einmal ins Rollen gekommen, läuft es. „Was meinen Sie, wie man früher den Platz gestreut hat“, fragt er unvermittelt und trifft ins Schwarze der Unwissenheit. „Mit Hobelspänen oder Sägemehl.“ Sein Vater hatte eine Schreinerei, „ich vergesse nie: Am Sonntagmorgen wurden noch Hobel parat gemacht, als ich auf den Kickplatz bin“. Stammler kann herzhaft plaudern und zuweilen schimmert auch etwas Schelmisches durch.

„Wenn wir im Vereinsbus nach Hause fahren, ist Highlife. Da bleib ich lieber ruhig“ Bernd Stammler

Wenn die Wittlinger am Sonntag, 15 Uhr, gegen den SV Au-Wittnau aufs Feld laufen, werden Stammler und sein Kollege Häßler zuvor alles wie gewohnt hergerichtet haben. Bei erst einem Sieg aus vier Partien „müssen wir jetzt mal zuschlagen“, sagt Stammler, dessen Söhne Daniel und Michael mittlerweile in der Reserve spielen. Man spürt, wie er mitfiebert, hofft, hadert. „Ich glaube schon, dass wir in der Landesliga bleiben“, sagt er.

Wenn die Wittlinger den Klassenerhalt schaffen, wäre es vielleicht Zeit für ein Ständchen von Stammler, der seit Urzeiten (inaktives) Mitglied im Wittlinger Gesangverein ist. „In der Kabine kann man zur Zeit nicht so gut singen. Das Radio ist zu laut“, sagt Stammler. Er bruddelt kurz, „da muss ich ab und zu rausgehen. Und wenn wir im Vereinsbus nach Hause fahren, ist Highlife. Da bleib ich lieber ruhig“. Für Di Domenico ist „Bernd die gute Seele“ beim FC Wittlingen. Und Kaya findet: „Bernd kann man nur mögen.“